
Inflation und Haftpflichtversicherung – reichen die Deckungssummen?
Die höchste Inflation seit Jahrzehnten bereitet nicht nur den Kostenmanagern im Unternehmen Kopfzerbrechen. Auch die Gewerbeversicherung muss überprüft werden. Während Sachversicherungen in der Regel eine Dynamikvereinbarung wie Wertzuschlag oder Summenanpassung kennen, um Versicherungssummen bei Preissteigerungen anzupassen, wird die Gewerbe-Haftpflichtversicherung oft übersehen. Dabei bedarf gerade diese Versicherung besonderer Aufmerksamkeit.
Unbegrenzte Haftung sogar ohne Verschulden
Das deutsche Deliktsrecht sieht in den meisten Fällen eine summenmäßig unbegrenzte Haftung vor. Haftet der Schädiger aus Verschulden, hat er die finanziellen Folgen zu tragen und dafür zu sorgen, dass der Zustand vor dem Schaden wiederhergestellt wird – egal, was es kostet.
Unternehmer haften für Mitarbeitende gegenüber Vertragspartnern wie für eigenes Verschulden. Bei Haftpflichtschäden, die außenstehenden Dritten entstanden sind, gilt eine Umkehrung der Beweislast: Der Dienstherr muss beweisen, dass er seine Arbeitskräfte sorgfältig ausgesucht und beaufsichtigt hat. Gelingt dieser Beweis nicht, haftet er.
Ein Beitrag, dreifache Leistung
Wird der Haftpflicht-Kunde mit Ansprüchen konfrontiert, übernimmt eine Gewerbe-Haftpflichtversicherung drei Funktionen:
- Experten des Versicherungsunternehmens prüfen, ob die Ansprüche gerechtfertigt sind, also ob der Schädiger überhaupt haften muss und ob möglicherweise überzogene Forderungen gestellt werden.
- Für berechtigte Ersatzansprüche zahlt die Haftpflichtversicherung bis zu Höhe der Versicherungssumme (Deckungssumme).
- Bei unberechtigten Forderungen stellt sich die Versicherung schützend vor ihre Kunden und begründet gegenüber dem Anspruchsteller die Ablehnung. Kommt es zur Klage, führt die Gewerbe-Haftpflichtversicherung auf eigene Kosten den Rechtsstreit, zahlt also zum Beispiel für Anwalts- und Gerichtskosten sowie für Gutachter.
Keine Unterversicherung, aber …
In den meisten Sachversicherungen muss die Versicherungssumme dem Wert der versicherten Sachen entsprechen, um optimalen Versicherungsschutz zu haben. Ist die Summe zu niedrig, nennt man das eine Unterversicherung. Sie kann entstehen durch
- falsche Wertermittlung bei Vertragsbeginn,
- Neuanschaffungen während der Vertragslaufzeit und
- Preissteigerungen (Inflation).
Besteht Unterversicherung, wird die Entschädigung im Verhältnis von Versicherungssumme zu Versicherungswert proportional gekürzt.
Einen Versicherungswert gibt es in der Gewerbe-Haftpflichtversicherung nicht, weil die Haftung – wie erläutert – unbegrenzt sein kann. Deshalb gibt es auch keine Unterversicherung. Gerade deshalb wird die Haftpflichtversicherung aber oft stiefmütterlich behandelt, wenn es um die Betrachtung und Beseitigung von Inflationseffekten geht.
Schadenbeispiel
Ein Dachdeckerbetrieb repariert Undichtigkeiten eines Flachdachs und verschweißt dazu Bitumen-Bahnen. Bei Arbeitsende bleiben Glutnester unbemerkt. In der Nacht bricht ein Brand aus, der auf das gesamte Gebäude übergreift. Aufgrund der gestiegenen Baupreise beläuft sich der Schaden auf 4,5 Millionen Euro. Die Gebäude-Feuerversicherung ersetzt zwar den Schaden, nimmt den Dachdecker aber in Regress. Für die Fahrlässigkeit seiner Mitarbeitenden haftet der Unternehmer unbegrenzt und ohne Entlastungsmöglichkeit.
Die Versicherungssumme der Gewerbe-Haftpflichtversicherung für Sachschäden beträgt nur 3,0 Millionen Euro –der darüberhinausgehende Schaden ist nicht gedeckt, und das Unternehmen muss Insolvenz anmelden. Je nach Rechtsform haftet der Unternehmer dennoch mit seinem Privatvermögen.
Augen auf bei Sublimits
Beim Inflations-Check der Gewerbeversicherung darf die Haftpflichtversicherung nicht fehlen. Zu niedrige Versicherungssummen sollten zeitgemäß aktualisiert werden. Selbst wenn die in der Regel vereinbarte Pauschalsumme für Personen- und Sachschäden ausreichend scheint, ist ein Blick auf Entschädigungsgrenzen unterhalb der Versicherungssumme (sogenannte Sublimits) wichtig. Sie können zum Beispiel für Vermögensschäden, Schlüsselverlust oder Bearbeitungsschäden gelten.